20071014

Allein unter Piefkes

Natürlich habe ich mich einer Illusion hingegeben, als ich achtlos vorgab zu glauben, Meta-Nerd Krolitzen habe sich auf und davon gemacht und würde mich samt meiner Würde nun endlich in geordneten Bahnen leben lassen. Kaum hatte ich gestern Nacht den Entschluss gefasst, die Kälte draussen bzw. meine warmen Füsse in ihren australo-neuseeländischen Unschuldslammfellstiefeletten zu lassen, machte ER auf sich aufmerksam. Zunächst war es nur ein unauffälliges Klickern, das Mobiltelefone gerne von sich geben, wenn ihre pulsweitenmodulierten Wellenbündel in die Leitungen feiner Unterhaltungselektronik geraten. "di-dit-di-dit-di-dit". Ich möchte nicht übertreiben, was mir generell fern liegt, aber ich spürte ganz fest in diesem Moment. Er ist wieder da.

Schon bimmelte das Telefon. Ein alter Schinken doch nicht alt genug, um keine "Multimedianachricht" zu empfangen. Findig hatte der verhasste "Alleskönner" K. es so hingebogen, dass ich die Nachricht nicht einmal ablehnen konnte. Paralysiert musste ich auf den winzigen Bildschirm starren, auf dem sich mir eine Freak-Show der Sonderklasse bot. In einem riesigen Bananenkostüm mit überproportionalem Euter tanzte da der Abgeschobene. Mitten auf einem Festwagen. Karneval in Rio, dass ich nicht lache. "Rio, Rio, Rio", noch immer dröhnt es mir in den Ohren. Wieder und wieder die alte Geschichte, wie er sich seinen Altersruhesitz vorstelle. So sollte es wohl aussehen: In einem schlecht zusammengefrickelten "Film" tanzt sich der leibhaftige Rächer aller Latexallergiepatienten inmitten rassiger Brasilienschönheiten den letzten Rest Anstand aus dem Leib. Immer wieder schwadroniert der Halbgott in Gelb voller Atemnot Verwünschungen und lästert über meine angeblich kümmerliche Existenz "auf dem alten Kontinent". Lächerlich. Trotz der drohenden Bewusstseinsstörung durch das Gesehene hatte ich die Nachricht schnell als Fälschung entlarvt. Zu eindeutig erkennbar war die kaum wegretouschierte Dönerbude "Kapadokya" in der Niedersächsischen Landeshauptstadt. Da half das montierte Video eines ehemaligen "Wellness-Urlaubs" in Brasilien nicht mehr weiter. Krolitzen fristet sein Dasein dort wo er hingehört: Unter Piefkes.

Ich hatte einen bösen Traum...

Rio, Rio, immer wieder Rio. Nein, nicht Reiser, sondern de Janeiro. Um mich wirbelt der Karneval, als mein Mobilfunktelefon schrillt. Es ist, wie ich schon lange zu befürchten aufgegeben hatte, mein längst vergessener MB, Leisetreter Schönberg. Schönberg, von dort, wo ich ihn gelassen habe: im Hintergrund erahne ich das Brummen des österreichischen Wasserkopfes, das wohl seit Kaiserzeiten beständig anschwillt. Emotional überfordert stehe ich inmitten der vorbeiziehenden Sambaschulen im Sambódromo... Als ich vom Klingeln des Telefons geweckt werde. Wie ich zu meinem Bedauern feststellen muss in der Metropolregion Hannover-Braunschweig-Göttingen, und nicht an der Guanabara-Bucht. Zunächst schlaftrunken, dann zunehmend fassungslos lausche ich der schnarrenden Stimme Kar-Schönbergs, wie sie gewohnt unartikuliert aus der Hörmuschel sifft. Wie kommt er an meine Telefonnummer? Was macht er schon wieder in Wien? Aus den gutturalen Grunzlauten meine ich, den Satzfetzen „ich kann nicht Schreiben“ (was Schönberg für den Bruchteil einer Sekunde tatsächlich in Ansätzen selbstreflektiert erscheinen lässt, für mich aber nichts Neues darstellt) herausfiltern zu können, daran schließen sich Verwünschungen an, die Schönberg, wie ich nach längerem, angestrengten Zuhören zu erkennen vermeine, gegen einen weltweit agierenden Brausehersteller schleudert. Überzeugt davon, das alles, was er mir zu sagen versuchen könnte, schlimmstenfalls langfristig Auswirkungen auf mein bescheidenes Dasein in der Leinemetropole haben wird, wünsche ich den inzwischen Rotz-und-Wasser heulenden Plärrberg zum Teufel, ziehe den Telefonstecker, und träume mich so gut es geht zurück nach Rio...

gopher://

Alex Gopher, French-House-Gott und ein ganz Digger, legt auf, rockt das Flex, und Schönberg ist nicht da. Dienstag war es ja noch ok. Lieblings-Helmut "Hell" gab sich die Kante und Schönberg hat es einfach nicht gemerkt. Gut. Schicksal oder so. Nur kurz die Haare gerauft, ein wenig sauer gewesen, ein paar Dosen und Steine am Bordsteinrand gekickt. Dinge, die in der Regel gar nicht vorkommen. Heute ist aber alles selbstverschuldet: Ein spaltweites Öffnen der Balkontür legte nah, dass der Plan "Kurz mal rüber fahren", 13 Öcken rauswerfen und sagen können: War da", so nicht klappt. Wie soll es nur enden? Beim ersten Schneegestöber verlässt Schönberg die Wohnung gar nicht mehr? Dabei hatte es so gut angefangen. Fröhliches Ramadan-Ende erlebt, schweren Schaden am Mainframe repariert. Seither sitzt Schönberg hier, DJ Joe-Joe macht digital konfusion und er analog depression. Vielleicht doch noch? Mmh, der Zeh zuckt schonmal.

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